Carl Pei will es noch mal wissen. Anfang 2021 kündigte er mit Nothing sein neues Unternehmen an. Eineinhalb Jahre später folgt mit dem Nothing Phone (1) bereits das zweite Produkt der Firma. Was das Nothing Phone (1) auszeichnet und es möglicherweise so besonders macht, haben wir hier für dich zusammengefasst.
Der in Beijing, China, geborene und in Schweden aufgewachsene Carl Pei (gesprochen wie das englische „pay“) ist gerade Anfang 30 und hat bereits sein zweites Unternehmen gegründet. Sein erstes, OnePlus, verließ er nach knapp sieben Jahren an dessen Spitze. Dieses hatte er im Dezember 2013 gemeinsam mit Pete Lau in Shenzhen, China, ins Leben gerufen, um ein neues Smartphone speziell für den chinesischen Markt zu entwickeln. Den Grund für die Gründung beschrieb Pei 2015 gegenüber dem Wall Street Journal folgendermaßen:
Also bauten Pei und Lau kurzerhand ihr eigenes Mobiltelefon. Nicht einmal zwei Jahre später hatte das junge Unternehmer-Duo 1,5 Millionen Exemplare seines OnePlus One in 35 Ländern verkauft. Ihr Slogan „Never Settle“, im übertragenen Sinne „sich niemals zufrieden zu geben“, galt nicht nur als Anspruch nach innen, sondern auch als Drohgebärde an die etablierten Marken im Smartphone-Segment. Diese unkonventionelle Haltung des enfant terrible OnePlus fand schnell Anklang bei Techfans und später auch im weniger techaffinen, breiten Markt.
Im Laufe der Jahre allerdings weichte dieser Anspruch, anders sein zu wollen, immer weiter auf. Statt wie anfangs das Produkt ausschließlich im Selbstvertrieb über die eigene Webseite zu verkaufen, nutzte OnePlus später lieber die Mechanismen des Einzelhandels, um den Absatz zu steigern. Der Preis entfernte sich mit jedem nachfolgenden Gerät weiter von der Mittelklasse und auch der Fokus auf ein Gerät pro Jahr war 2016 schon nicht mehr gültig. Zur Hauptreihe des OnePlus gesellte sich Ende 2016 antizyklisch die T‑Reihe, die jeweils leicht verbessert und teurer an den Start ging. 2019 folgte die Pro-Reihe und 2020 die Nord-Modelle mit ihren diversen N- und CE-Ablegern. Neben Smartphones stellt OnePlus seit einigen Jahren zudem Kopfhörer, Fitness-Tracker und Smartwatches sowie Fernseher her.
Mangelnden Innovationswillen kann man OnePlus trotz Anpassung an den Massenmarkt nicht vorwerfen. Im Rahmen der CES 2020 stellte das chinesische Unternehmen das OnePlus Concept One vor. Das in McLaren-Farben gehaltene Smartphone versteckt die Hauptkamera auf der Rückseite unter sogenanntem elektrochromen Glas. Dieses besitzt die Fähigkeit, sich auf Knopfdruck zu tönen bzw. intransparent zu werden. Beim OnePlus Concept One sorgt dieses besondere Glas dafür, dass die Hauptkamera nur dann zu sehen ist, wenn sie gebraucht wird. Ansonsten verschwindet sie nahezu unsichtbar hinter dem Glas. Aus dem Konzept ist bis heute jedoch kein marktreifes Produkt entstanden.
Noch im gleichen Jahr, im Oktober 2020, verließ Carl Pei OnePlus. Nur wenige Monate später, im Januar 2021, stellte er sein neues Unternehmen vor: Nothing. Dieses Mal von ihm allein gegründet.
Diese Vorgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, warum das Nothing Phone (1) so viel Aufmerksamkeit bekommt. Denn OnePlus gelang es, schneller und stärker als anderen Herstellern, sich als Marke zu etablieren. Auch Nothing möchte nicht als Unternehmen oder Produkt wahrgenommen, sondern als Marke verstanden werden. Schon vor dem ersten Produktlaunch im Juli 2021 gewinnt Carl Pei zahlreiche Fans und Investoren für seine junge, noch ominöse Firma mit dem nichtssagenden Namen. Zu den Geldgebern zählen unter anderem iPod-Erfinder Tony Fadell, Reddit-CEO Steve Huffman und YouTuber Casey Neistat. Sie glauben an Nothing und an Carl Pei – obwohl es noch nicht mal ein Produkt gibt. Lediglich eine Vision, die Carl Pei Ende Januar 2021 in einer Pressemitteilung vorstellte:
„Die Mission von Nothing ist es, Barrieren zwischen Menschen und Technologie zu beseitigen, um eine nahtlose digitale Zukunft zu schaffen. Wir glauben, dass die beste Technologie schön, aber natürlich und intuitiv zu bedienen ist. Wenn sie weit genug fortgeschritten ist, sollte sie in den Hintergrund treten und sich wie nichts anfühlen.“
Sich wie nichts anfühlen, „feel like nothing“, wie es im englischen Original heißt, erklärt, warum Pei diesen Namen für seine neue Marke gewählt hat. Nicht aber, was sich dahinter verbirgt. In einem seiner ersten Interviews als neuer CEO mit The Verge im Januar 2021 äußerte Carl Pei nur vage Andeutungen: „Die ultimative Vision, dass alles nahtlos miteinander verbunden ist, kann nur erreicht werden, wenn mehrere Produktkategorien miteinander verbunden sind.“ Was nach einem eigenen Ökosystem über mehrere Produktarten hinweg klingt, bleibt erstmal nur Spekulation. Denn für ein eigenes Ökosystem braucht es zunächst einmal Produkte, die darin existieren.
Das Konzept eines in sich geschlossenen Systems ist nicht neu: Apple hat dies über Jahrzehnte iteriert und perfektioniert. Und noch eine Parallele zu Apple findet sich: Carl Pei ist, wie einst Steve Jobs bei Apple, das Gesicht des Unternehmens. Lange Zeit war das Konterfei von Jobs untrennbar mit dem angebissenen Apfel verbunden. Jobs entwickelte Apple zu einer Marke, ähnlich wie es etwa Elon Musk mit Tesla macht. Auch er steht, wie kaum ein anderer, für das Elektroauto. Ob Carl Pei den gleichen Anspruch verfolgt, weiß nur er selbst. Von außen betrachtet, weiß er sich aber zumindest entsprechend darzustellen. Er gehört zu der Sorte junger Internet-Unternehmer, die die Spielregeln des WWW verstanden hat. Nothing ist auf allen sozialen Kanälen gleichermaßen zuhause. Tweets, Insta-Stories, Youtube-Videos – alles befeuert den Hype um die Marke. Das Sprichwort „Viel Lärm um nichts“ wird ins Gegenteil verkehrt und zu „Viel Lärm um Nichts“ – zumindest in der Techszene. Diese beobachtet Carl Pei und Nothing ganz genau – und erwartet, oder erhofft, sich viel.
Die Erwartungshaltung an Nothing ist groß. Die Gefahr zu scheitern, wie es etwa beim Essential Phone der Fall war, ist nicht von der Hand zu weisen. 2017 hatte der ehemalige Android-Erfinder Andy Rubin das Smartphone angekündigt. Als erstes Smartphone mit einer Notch verdanken wir dem Essential Phone diesen Trend im Smartphone-Design. Das Unternehmen Essential Products startete 2015 als ambitioniertes Unterfangen, das an seinem eigenen Anspruch scheiterte. Am 25. Februar 2021, einen Monat nach Vorstellung von Nothing, kaufte Carl Pei Essential Products auf.
Noch ist nicht abzusehen, welche Richtung Nothing einschlagen wird. Mit der Branchenerfahrung, die Pei bei OnePlus gesammelt hat, stehen die Vorzeichen zumindest nicht schlecht, dass sich das Startup am Markt behaupten kann. Spannend zu beobachten wird vor allem sein, inwieweit die Produkte dem Markenanspruch und dem Hype gerecht werden. Die im Juli 2021 vorgestellten Nothing ear (1) haben viel positives Medienecho erhalten. Besonders hervorgehoben werden das semitransparente Design und der trotz verbauter aktiver Geräuschunterdrückung (ANC) vergleichsweise niedrige Preis von 99 Euro.
Das wichtigere Produkt aber ist das Nothing Phone (1). Erstmals offiziell angekündigt hatte Nothing sein erstes Smartphone Ende März 2022. Seither läuft die Marketingmaschinerie auf Hochtouren. Bis zum finalen Produktstart verging kaum ein Tag, an dem es keine neuen Gerüchte und Informationen zu dem Mobiltelefon gab. Ein derart großes Interesse an einem neuen Produkt ist so sonst nur beim iPhone zu beobachten. Allerdings handelt es sich beim iPhone um eines der derzeit wichtigsten Smartphones am Markt. Nothing hat diese Aufmerksamkeit mit dem Phone (1) aus dem Stand für ein gänzlich neues Produkt generiert, von dem niemand vorher wusste, was es eventuell anders macht, ob es wirklich neu und unkonventionell wird.
Apple hat jedes Jahr mit Datenlecks zu kämpfen, die bereits im Vorfeld der öffentlichen Präsentation nahezu sämtliche Details zur kommenden iPhone-Generation verraten. Nothing hingegen wollte beim Phone (1) die Kontrolle behalten und hat das Smartphone deshalb kurzerhand einfach selbst geleakt. Statt bis zum 12. Juli, dem Tag der Präsentation, zu warten, stellt das in London eingetragene Startup Fotos und Teile der Spezifikationen Wochen vorher ins Netz und teilte diese fleißig in den sozialen Netzwerken.
Carl Pei versteht es nicht nur, Hype zu schüren. Er hat den Zeitpunkt der Präsentation auch geschickt gewählt. Der Juli gilt branchenüblich als Sommerloch. Keine anderen namhaften Hersteller legen ihre Produktvorstellungen in dieses Zeitfenster. Entsprechend konzentrierten sich sämtliche Fachmedien auf das Nothing Phone (1).
Um was für ein Smartphone handelt es sich also beim Phone (1)? Ist es wirklich neu und originell? Seiner Optik nach zumindest schon. Wie schon bei den Nothing ear (1) schützt transparentes Glas die Rückseite. Dadurch sind die einzelnen Komponenten zu erkennen, die allerdings – wie in modernen Fahrzeugen – verblendet und farblich aufeinander abgestimmt sind. Bei der weißen Variante sind die innenliegenden Teile weiß, bei der schwarzen Variante entsprechend schwarz eingefärbt. Für die Entwicklung einer eigenen Designsprache hat sich Nothing mit der schwedischen Firma Teenage Engineering zusammengetan. Deren Produkte weisen eine klare, minimalistische Eleganz auf, die sich auch beim Nothing Phone (1) und den ear (1) wiederfindet.
Das Alleinstellungsmerkmal des Phone (1) ist aber nicht dessen durchsichtige Rückseite, sondern die darin versteckten LEDs. Das ein Smartphone ein bunt leuchtendes RGB-Logo auf den Rücken tätowiert hat, ist nichts Ungewöhnliches. Beim Phone (1) sind die LEDs allerdings über die gesamte Rückseite verteilt und ergeben ein abstraktes Muster- Die LEDs sind zudem tief ins System integriert. Sie transportieren wie Benachrichtigungs-LEDs Informationen: Sie zeigen den Ladefortschritt an, melden eingegangene Nachrichten und Anrufe. Liegt das Telefon auf dem Bauch, schaltet es automatisch stumm und meldet Aktivitäten nur noch über verschiedene LED-Muster an. Glyph Interface nennt Nothing die Lichtschau beim Phone (1). Jeder Klingelton hat seine eigene Lichtanimation. Weist du einzelnen Kontakten separate Anruftöne zu, reicht ein Blick auf die blinkende Rückseite, um zu wissen, wer anruft. Spielereien wie Morse-Codes sind ebenfalls im Glyph Interface integriert.
Die konventionelle Vorderseite besteht aus einem 6,55 Zoll großen OLED-Panel, das eine Auflösung von 1.080 x 2.400 Pixeln bietet. Die Pixeldichte liegt mit 402 ppi im Durchschnitt. 120 Hertz Bildwiederholfrequenz und eine Abtastrate von 240 Hertz sind in dem Preissegment hingegen seltener anzutreffen. In unteren Drittel des Displays befindet sich der Sensor für den Fingerabdruck.
Vorder- und Rückseite sind durch Gorilla Glas 5 vor Kratzern geschützt. Zusammengehalten wird das Phone (1) von einem umlaufenden Aluminiumband. In der Präsentation am 12. Juli sagte Carl Pei, dass sie bei der Entwicklung des Handys Wert daraufgelegt hätten, dass außen kein Plastik verbaut wird. In seinen Abmessungen (159,2 x 75,8 x 8,3 mm) erreicht das Nothing Phone (1) fast die Größe des iPhone 13 Pro Max.
Trotz Mittelklassepreis verzichtet auch das Phone (1) auf einen Kopfhörer-Anschluss. Akustik dringt entweder über die Stereolautsprecher ans Ohr oder über gekoppelte Bluetooth-Kopfhörer – die sich, je nach Modell, auch auf der Rückseite des Smartphones aufladen lassen. Auch hier meldet das Glyph Interface, wie weit der Ladevorgang bereits abgeschlossen ist.
Während außen das extravagante Design nach High-End wirkt, bleibt es im Inneren etwas gediegener: Statt des derzeit aktuellen Snapdragon 8 Gen 1 werkelt im Phone (1) mit dem Snapdragon 778G+ ein Mittelklasse-Prozessor. Von dessen acht Kernen takten drei mit 2,4 GHz in der Spitze. Sekundiert wird die CPU von einem Adreno 642L als Grafikchip. Beim Speicher lässt dir Nothing die Wahl zwischen drei Größen: 8 Gigabyte RAM und 128 GB ROM, 8 GB RAM und 256 GB ROM oder 12 GB RAM und 256 GB ROM. Die Entscheidung, die du hier triffst, ist final – der Speicher lässt sich nachträglich nicht durch eine SD-Karte vergrößern.
Gleiches gilt logischerweise auch für den festverbauten Akku. Dessen Kapazität beläuft sich auf 4.500 Milliamperestunden. Geladen wird wahlweise per Kabel (USB‑C) mit bis zu 33 Watt – das soll den Akku in rund 30 Minuten auf 50 Prozent bringen – oder kabellos mit maximal 15 Watt.
Fotos schießt du beim Nothing Phone (1) mit 50 Megapixeln, entweder im Weit- oder im Ultraweitwinkel. Die Hauptkamera des Dualsystems besitzt eine f/1.9‑Blende und optische Bildstabilisierung. Die Blende der Ultraweitwinkelkamera öffnet mit f/2.2, der sichtbare Bereich kommt hier auf 114 Grad. Videos zeichnet das Smartphone in bis zu 4K-Auflösung bei 30 Bildern pro Sekunde auf, bei Full-HD sind Zeitlupen mit maximal 60 fps möglich. Auch bei der Kamera glänzt das Glyph Interface erneut: Um das Kamera-Modul herum sind LEDs in Form eines „C“ angeordnet, die als Kameralicht dienen. Zudem signalisiert eine rot blinkende LED, dass gerade gefilmt wird.
Beim Betriebssystem verlässt sich Carl Pei auf Googles Android 12. Obwohl der Name „Nothing OS“ es nahelegt, anzunehmen, es könnte sich um ein von Grund auf neu entwickeltes Betriebssystem handeln, handelt es sich lediglich um eine angepasste Oberfläche. In der Präsentation betonte Carl Pei, dass er viele Android-Apps möge und deshalb keinen Grund darin sehe, diese durch eigene zu ersetzen. Das Nothing OS ändert deshalb auch nur Details an der Optik, die Struktur und die Nutzerführung von Android bleiben dabei erhalten.
Das Nothing Phone (1) ist seit dem 12. Juli 2022 erhältlich. Verfügbar ist es in den Farben Weiß und Schwarz. In der kleinsten Speicherausführung kostet es 469 Euro, 499 Euro sind es für die doppelte Menge Flashspeicher. Weitere 50 Euro kommen dazu, wenn der Arbeitsspeicher auf 12 GB RAM wachsen. Ein Netzteil liegt dem Karton nicht bei.
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