Wir feiern ... die neue Mobilität
Interview mit Zukunftsforscher Tristan Horx
City-Hipster und Tourist*innen lieben sie. Fußgänger*innen fürchten sie. Rad- und Autofahrer*innen beäugen die neue rollende Konkurrenz eher skeptisch. Fakt ist: Elektroroller – cooler: E-Scooter – sind in urbanen Zentren der Mega-Hype 2019 in Sachen Individualmobilität. Verschiedene Anbieter fluten die Straßen mit Leihmodellen für die (Kurz-)Strecke, Händler wie OTTO bieten langfristige Mietmodelle. So oder so: Die elektrischen Steh-Roller polarisieren. Während in Deutschland derzeit noch debattiert, diskutiert und gestritten wird, wem den nun wie viel der Straße „gehört“, sind Zukunftsforscher*innen – wie es in der Natur der Sache liegt – ihrer Zeit voraus. Tristan Horx geht in seiner Arbeit am Zukunftsinstitut unter anderem der Frage nach, welche Veränderungen und Megatrends unsere Gegenwart prägen und welche Rückschlüsse auf die Zukunft sich daraus ziehen lassen. Im Gespräch mit uns wagt er einen Blick in die Kristallkugel:
Autofahrer*innen gegen Radfahrer*innen. Radfahrer*innen gegen Fußgänger*innen. Fußgänger*innen gegen E-Roller-Fahrer*innen: Warum sind wir in Sachen Individualmobilität eigentlich so emotional?
TRISTAN HORX: Eigentlich sollte ja die Motivation sein, dass wir effizient von A nach B kommen. Ganz unemotional. Soweit sind wir aber längst noch nicht und das lässt sich durch das gesellschaftliche Trauma des 2. Weltkriegs erklären: Für uns war das Auto nach dem Krieg ein entscheidendes Befreiungselement, dieses Amerikanische „Ich entscheide, wohin ich fahre“ entsprach dem Zeitgeist und ist deshalb bei uns so stark verwurzelt. Bei der jüngeren Generationen hat der Sharing-Gedanke bei Verkehrsmitteln eine viel höhere Akzeptanz, weil eben kein gesellschaftliches Trauma dahinterliegt. So erklärt sich unser Individualmobilitätsfetisch historisch.
Das Fetischisieren des Autofahrens wird von Generation zu Generation abnehmen
Wie lange können wir uns diesen Fetisch noch erlauben?
Ökologisch gesehen? Nicht mehr lange! Aber Mobilität ist ja nur ein Teil des Gesamtbildes der ökologischen Frage. Das Fetischisieren von Mobilitätsformen wie Autofahren wird von Generation zu Generation abnehmen.
Sie klingen sehr zuversichtlich. Glauben Sie, dass da Politik und Autoindustrie so einfach mitmachen?
Man merkt in vielen Bereichen, dass sich die mächtigen Industrien teilweise sehr heftig gegen das Neue und Innovative wehren. Aber dem kollektiven Gesellschaftswillen werden sie früher oder später erliegen. Die Frage ist eben, wie schnell das geht. Es wird immer wieder Leute geben, wie zum Beispiel Elon Musk von Tesla, die disruptiv alles hinterfragen. Oder auch Mobilitätskonzepte wie Uber. Aktuelle Hoffnungsträger im Automobilsektor sind Daimler und BMW, die ihre Carsharing-Flotten zusammengelegt haben. Das zeigt einen riesigen Umbruch darin, wie die beiden Unternehmen zueinander stehen.
Ist das die Lösung? Kooperation der Mächtigen statt Konkurrenzkampf?
Am Ende werden sich die Autohersteller wohl alle zusammenschließen mit ihren Mobilitätskonzepten. Sonst setzt sich am Ende jemand wie Sixt durch, der sich als Mobilitätsprovider begreift. Dorthin muss sich die Autoindustrie auch bewegen. Sie sind dann eben nicht mehr konkurrierende Autobauer, sondern ein Provider für technisch und ökologisch sinnvolle Individualmobilität. Aber dieser Kooperationswille ist ein langsamer Prozess. Carsharing ist ja schön und gut, aber was nützt es, wenn 15 verschiedene Anbieter ihre Flotten in die Innenstädte, die wir autofreier machen wollen, bringen? Klar, eine gewissen Konkurrenz muss bleiben, denn die bewirkt auch Innovationen.
Keine ewigen Kriege der verschiedenen Mobilitätsformen
Wann sind wir soweit?
Ich denke in zehn Jahren. Das ist für mich realistisch. Die Hoffnung, dass sich durch den moralisch-politischen Protest das Umdenken gerade in der Autoindustrie beschleunigt, ist natürlich da.
Haben Sie persönlich eine Vision, wie denn das Modell der Zukunft aussehen wird?
Ja! Wir werden das polymobile Zeitalter ausrufen, in dem wir eben nicht mehr so stark in Kategorien „Ich bin Autofahrer" oder „Ich bin Fahrradfahrer" denken. Wir werden das Ganze als Gesamtsystem sehen und denken müssen und keine ewigen Kriege der verschiedenen Mobilitätsformen gegeneinander führen. Besonders in der Stadt wird meiner Meinung nach die vertikale Mobilität richtig interessant werden.
Also die Flugtaxis?
Genau. Als eines der Unternehmen, die hier vorangehen, sehe ich Lilium aus München. Sie, aber auch andere Anbieter liefern sich gerade ein Rennen darum, wer das massentauglichste Objekt entwickelt. Dahin geht die Reise. Gerade in solchen Städten, die sich auch sehr stark vertikal entwickeln. Der Mindset-Durchbruch wird das Polymobile sein, der technologische Durchbruch die vertikalen Transportmittel. Die entscheidende Frage wird immer bleiben: Wie bringen wir Technologie in die Städte?
Was macht die „neue Mobilität" mit uns persönlich? Brauchen wir künftig überhaupt noch einen Auto-Führerschein?
Also – im Idealfall entziehen wir der Mobilität nicht alles an Freude. Autofahren macht ja auch Spaß! Für uns als Individuen ist aber wichtig, dass wir eine höhere Flexibilität entwickeln. Wir werden künftig eine App haben, die uns über alle Transportmittel hinweg zeigt, wie wir schnell und effektiv von A nach B kommen. Das erfordert ein agiles Mindset.
Elektromobilität ist eine aktuelle Entwicklung, nicht die finale Lösung
Bis das autonome Autofahren in den Städten einzug hält, wird es noch eine Weile dauern, zumindest bei uns in Europa. In Amerika mag das vielleicht schneller gehen. Einen Führerschein, um uns im Straßenverkehr sicher zu navigieren – ob im Auto oder einem anderen Fortbewegungsmittel – werden wir also auf jeden Fall auch weiterhin benötigen.
Klar ist: Unser Bedürfnis, mobil zu sein, wird weiter steigen. Elektromobilität ist eine aktuelle Entwicklung, eine sehr gute und sehr wichtige – aber eben noch nicht die finale Lösung.