Wie künstliche Intelligenz die Relation Center entlastet
Mit Hilfe von maschinellem Lernen die E-Mail-Flut in den Relation Centern bewältigen
Juri und Jürgen, ihr seid Experten im Fachbereich künstliche Intelligenz und befasst euch im Arbeitsalltag mit dem Thema Textmining. Da denke ich erstmal an Minen, Bergbau, Sprengungen. Natürlich geht es bei Textmining um etwas ganz Anderes. Um was denn genau?
JURI PÄRN: Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass Textmining nicht gleich Textmining bedeutet. Je nach Umfeld hat der Begriff verschiedene Bedeutungen. Allgemein gesprochen werden beim Textmining neue Informationen aus Texten extrahiert.
JÜRGEN JÄGER: Richtig, grundsätzlich bedeutet Mining, dass man Wissen aus großen Daten gewinnen kann – und das eben auch mit Hilfe von maschinellem Lernen.
JURI: In unserem Fall sprechen wir dabei von Natural Language Processing (NLP). Hier geht es darum, Sprache in verschiedensten Kontexten zu verstehen. Zurzeit lediglich geschriebene Sprache, in Zukunft vielleicht auch einmal gesprochene Sprache.
Ein Computer kann nur so gut werden, wie die Daten, die man ihm zum Lernen gibt
Wie wird dieses Natural Language Processing in den Relation Centern angewandt?
JURI: Nehmen wir ein fiktives Beispiel: Man erhält 1.000 E-Mails, die alle in verschiedenen Kategorien – beispielsweise Retoure oder Lieferstatus – gehören. Allerdings müssen sie noch in das richtige Postfach einsortiert werden, damit die E-Mails zu der richtigen Ansprechperson gelangen. Unser KI-Service ist das „Sortierzentrum", das die große Menge an einlaufenden E-Mails der Kund*innen für die Relation Center nach verschiedenen Kategorien in Echtzeit klassifiziert. Die E-Mails werden dann ohne Umwege an die entsprechenden Agent*innen weitergeleitet. Somit kann die KI die Agent*innen zielgerichtet und optimal unterstützen und die Mails landen direkt bei dem*der richtigen Expert*in – und das sind zur Zeit durchschnittlich 17.500 E-Mails pro Tag.
Das klingt wunderbar und nach einer großen Entlastung für die Kolleg*innen. Aber gibt es auch Momente, in denen Mails doch mal im falschen Postfach landen?
JURI: Natürlich passieren auch Fehler, ein 100-Prozent-Modell ist unrealistisch. Ein Computer kann nur so gut werden, wie die Daten, die man ihm zum Lernen gibt. Ist eine Klassifizierung also schwammig erstellt, wird die Maschine die ankommenden E-Mails auch nicht richtig zustellen können. Wenn in den Mails dann noch Ironie, Sarkasmus oder Doppeldeutigkeiten mit ins Spiel kommen, sind selbst wir Menschen ab und zu mit unserem Latein am Ende.
Es wird viel mehr Zeit für die Fälle übrigbleiben, die wirklich einen persönlichen Austausch und Expertise benötigen
Was sind die nächsten Schritte, um die KI noch weiter in den Service-Bereich zu integrieren?
JÜRGEN: Wir versuchen mit Hilfe der KI unsere Kolleg*innen in den Relation Centern so gut wie möglich zu entlasten und wollen daher die Automatisierung weiter ausbauen. Aber eben nur in Bezug auf die Tätigkeiten, die sich wiederholen und eintönig sind und sich somit gut automatisieren lassen.
Unser Ziel ist es, in Zukunft im Bereich des maschinellen Lernens weitere Erkenntnisse zu gewinnen, um den Wust an E-Mails zu reduzieren, damit sich die Agent*innen auf die persönliche Beratung konzentrieren können. Es wird also viel mehr Zeit für die Fälle übrigbleiben, die wirklich einen persönlichen Austausch und Expertise benötigen.
Wenn ihr euch etwas wünschen könntet, was KI oder auch Natural Language Processing irgendwann kann, was wäre das?
JÜRGEN: Offengestanden bin ich aktuell wunschlos glücklich. Nichtsdestotrotz erreichen uns aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz und des NLP jede Woche neue Informationen aus Forschung und Anwendung. Diese verfolgen wir aufmerksam und integrieren relevante Fortschritte in unsere OTTO-Lösungen.
JURI: Mein Wunsch an die KI wäre, dass wir Computer bald so optimieren können, dass sie Sprache „verstehen“. Sprich, dass wir umgangssprachlich mit ihnen interagieren können.
Und wenn jetzt jemand befürchtet, dass spätestens dann Maschinen die Welt übernehmen werden: Verstehen beutet in diesem Zusammenhang nicht, dass Computer eine Identität und basierend darauf eigene Ziele entwickeln. Und das Verstehen wird sich auch nicht auf die ganze Welt beziehen, sondern auf Teilbereiche wie beispielsweise den E-Commerce. Wie das dann aussehen könnte? Beispielsweise so, dass ich beim Onlineshopping meinen PC fragen kann: „Welche Jeans gibt es in welcher Form und in welcher Farbe auf otto.de? Zeig mir mal die Dritte von links“. Das wäre meine Wunschvorstellung.