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Vom Katalog zur Online-Plattform
Technologie

Vom Katalog zur Online-Plattform

Wie OTTO sein Geschäftsmodell zukunftsfähig gemacht hat

Autor Roman Oncsak
Alles begann 1949 mit einem Katalog und ein paar Schuhen. Heute ist OTTO eine der erfolgreichsten E-Commerce-Plattformen in Deutschland. Doch wie wurde aus einem traditionellen Versandhandel ein konkurrenzfähiger Online-Marktplatz? Ein Blick in unsere Transformationsgeschichte zeigt, welche Faktoren essenziell für den Digitalisierungserfolg waren.

Im August 1949 legte der 40-jährige Werner Otto Im Hamburger Stadtteil Schnelsen den Grundstein für das Handels- und Dienstleistungsunternehmen, das heute den größten deutschen Online-Shop mit über 10 Millionen Artikeln betreibt. Das Bewusstsein für das enorme Potenzial der Digitalisierung wurde schon früh in die Organisation getragen: Michael Otto unternahm als Vorstandsvorsitzender bereits in den 80er und 90er Jahren regelmäßige Inspirationsreisen in die USA – unter anderem ins Silicon Valley. Zurück nach Hamburg brachte er die Erkenntnis, dass es sich bei der Digitalisierung um nicht weniger als „den größten Umbruch der Menschheit“ handelt.

Der Sprung ins Online-Zeitalter

Sicher war auch, dass der digitale Wandel das Handelsgeschäft für immer verändern würde – und OTTO sollte hier die Speerspitze bilden. 1995 brachten wir unser gesamtes Sortiment ins Web – in einer Zeit, in der nur 250.000 Menschen in Deutschland überhaupt einen privaten Internetanschluss hatten. Der frühe Vorsprung ins Netz sollte sich auszahlen. Doch trotz eines viele Jahre andauernden profitablen Wachstums stellte sich in Anbetracht des verstärkten Wettbewerbs aus Übersee die Frage, wie sich das lineare Handelsmodell weiterentwickeln muss, um auch langfristig relevant zu bleiben.

Dr. Michael Müller-Wünsch, Bereichsvorstand Technology bei OTTO

Transformation auf Führungsebene

Um dieser Herausforderung zu begegnen und der technologischen Entwicklung bei OTTO das nötige Gewicht zu verleihen, wurde die Transformation durch Antritt von Dr. Michael Müller-Wünsch 2015 auf oberster Führungsebene funktional verankert: Als Bereichsvorstand Technology sollte MüWü – wie der CIO des Jahres 2022 auch genannt wird – die nächste Stufe des digitalen Wandels einleiten. Der promovierte Informatiker startete mit einer klaren Mission in sein Amt: "Wir wollen die Zukunft des digitalen Handels mitgestalten und als innovativer Treiber Maßstäbe setzen.“ Dafür sollte sich das linear ausgerichtete Handelsmodell öffnen, hin zu einem zweiseitigen Öko-System, an dem sich Partner einfacher beteiligen und dieses mitgestalten können – OTTO sollte Plattform werden.

Dr. Michael Müller-Wünsch „Transformation wird von Menschen gemacht, nicht von Maschinen. Es ist wichtig, Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg mitzunehmen und die Idee einer lernenden Organisation ins Unternehmen zu tragen, die Freude an der Veränderung hat“

Dr. Michael Müller-Wünsch , Bereichsvorstand Technology bei OTTO

Der Mensch im Mittelpunkt

Trotz aller technologischen Veränderungen, die der Transformationsprozess erfordern sollte, setzte MüWü den Menschen ins Zentrum: Die gesamte Transformation sollte sich an der Verbesserung der User Experiences von Konsument*innen, Partner*innen, Lieferant*innen und Mitarbeitenden ausrichten. Durch Verankerung der Tech-Strategie im Business war den OTTO-Mitarbeitenden zudem der nötige Raum gegeben, damit sich alle auf die Entwicklung zum Plattformgeschäft konzentrieren konnten. Auch die Veränderung des Mindsets sowie eine gelebte Feedback- und Changekultur waren und sind essenzielle Elemente des Wandels: „Transformation wird von Menschen gemacht, nicht von Maschinen. Es ist wichtig, Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg mitzunehmen und die Idee einer lernenden Organisation ins Unternehmen zu tragen, die Freude an der Veränderung hat“, so Müller-Wünsch.

Der Weg zu einer modernen Gesamtarchitektur

Im Zuge der systematischen Weiterentwicklung zur digitalen Plattform musste die Anwendungsarchitektur generalüberholt werden. „Vergangene Architekturentscheidungen sind zu dem Zeitpunkt, an dem sie getroffen werden, meist die richtigen, aber sie passen womöglich heute und morgen nicht mehr zum Geschäft“, erinnert sich MüWü. Folglich haben die Tech-Teams Systemlandschaften komplett neu entwickelt („Greenfield“-Ansatz). Vereinzelt wurden jedoch auch bestehende Software-Architekturen optimiert („Brownfield“-Ansatz) und zukunftsfähig gemacht.
Das erste bedeutende Neu- und Umbauvorhaben war der Aufbau eines digitalen Marktplatzes, der die alten und neuen Systemwelten verbindet. Das Ziel: Die digitale Reichweite von OTTO für Handelspartner und Handelsunternehmen nutzbar zu machen. Die Marktplatzteilnehmer sollten auf der digitalen Plattform ihre eigenen Produkte auf eigene Rechnung verkaufen können. „Zwar haben wir damit den Wettbewerb von der Straße ins eigene Wohnzimmer gelassen, aber unser Leistungs- und Produktangebot hat sich verzehnfacht", erklärt MüWü.

Exponentielles Wachstum

Der Marktplatz ging im Frühjahr 2020 mit einer geringen Zahl an Partnern und wenigen Tausend Produkten an den Start. In weniger als 18 Monaten konnte OTTO durch die Marktplatz-Logik jedoch ein relevantes Zusatzgeschäft neben dem traditionellen Handelsgeschäft etablieren und rund eine Milliarde Euro zusätzlichen Umsatz generieren. Das Produkt- und Leistungsangebot verzehnfachte sich, gleichzeitig war es der Beweis, dass alte Software-Architekturen und neue Systemlandschaften mit einer nativen Greenfield-Cloud-Applikationsarchitektur zusammengebracht werden konnten und ein inkrementeller Architektur-Umbau in der laufenden Transformation und bei laufendem, operativem Geschäft möglich ist.

Die Transformationsgeschichte wird fortgeschrieben

Doch mit dem erfolgreichen Wandel hin zum Markplatz ist die Transformation bei OTTO noch lange nicht abgeschlossen. Da sich die Marktbedingungen rasch ändern, entschied MüWü, die Architektur nicht in einem "Big Bang" für die nächsten zehn oder 15 Jahre zu modernisieren. OTTO betrachtet das gesamte Vorhaben stattdessen als MVP, ein Minimum Viable Product. Der zugrundeliegende agile Ansatz sieht die stete iterative Optimierung der Systemlandschaften vor. Sobald eine Veränderung auftritt, überlegt das Team, ob die aktuelle Struktur noch passt. Wenn nicht, wird sie verändert. Und da diese kontinuierliche Verbesserung auch ein immer höheres Maß an Know-how erfordert, ist auch der Auf- und Ausbau von IT-Kompetenzen fest in der Digitalstrategie von OTTO verankert.
Mit verschiedenen Bildungsformaten und Initiativen unterstützen wir Frauen und Kinder dabei, sich technischen Themen anzunähern und einen Werdegang in der IT ins Auge zu fassen. Aber auch Angebote für Lehrkräfte oder Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich Künstlicher Intelligenz sollen zum digitalen Kompetenzerwerb beitragen. So ist sichergestellt, dass eine der erfolgreichsten Transformationsgeschichten in Deutschland auch morgen noch fortgeschrieben werden kann.

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