KI-Mythen im Check
Was stimmt und was ist totaler Humbug? Teil 1
Michaela, in einem Talk über KI-Mythen hast du gesagt, dass im Bereich der künstlichen Intelligenz meist keine KI- oder Technik-Probleme gelöst werden, sondern Menschen-Probleme. Was meinst du damit?
DR. MICHAELA REGNERI: Wir nutzen Technik ja nicht um der Technik-Willen, sondern um uns irgendeine Tätigkeit einfacher zu machen oder überhaupt zu ermöglichen. Beispiel: Freund*innen oder Familie, die weit weg wohnen und die wir nicht oft zu sehen bekommen, rufen wir per Videocall an. Oder wir nutzen Apps, die uns das Einkaufen erleichtern. Statt auf einen Zettel zu schreiben, was ich einkaufen möchte, habe ich meinen digitalen Zettel immer dabei. Mit KI-Anwendungen ist es das Gleiche. Ich beschäftige mich maßgeblich mit der Frage, wie die Zukunft der Arbeit aussehen wird und wie uns KI dabei unterstützen kann.
Wie können wir uns das vorstellen?
Wir sprechen mittlerweile ja schon viel über KI. Ich finde aber, dass wir zu selten bei Menschen nachfragen, was es mit ihnen macht, wenn sie in direkten Kontakt mit Automatisierungen kommen.
Automatisierung – ein sehr hitziges und populistisches Thema, oder?
Ja, total. Weil damit viele Ängste, aber auch große Hoffnungen verbunden sind. Deshalb war es uns so wichtig, mit Menschen zu sprechen, die in ihrer Arbeit von KI-Anwendungen profitieren könnten. Wir haben bei unseren Kolleg*innen aus verschiedenen Fachbereichen nachgefragt, wie es ihnen gehen würde, wenn bestimmte – meist nervige – Prozesse von einer KI erledigt werden, die sie vorher selbst gemacht haben.
In den Antworten unserer Kolleg*innen konnten wir keine Bestätigung dieser Mythen finden, ganz im Gegenteil
Lass mich raten: Sie fanden es gut?
Welche Mythen konntet ihr widerlegen?
Ich fange mal mit meinem Liebling an, dem Freizeit-Mythos. Die Annahme dahinter: „Die Menschen wollen Automatisierung, weil sie selbst nicht mehr arbeiten wollen“. Das ist völliger Quatsch. Natürlich gibt es Tätigkeiten, die ein Mensch durch eine Automatisierung nicht mehr machen muss – das ist ja auch Sinn und Zweck der ganzen Sache. Aber es ist viel mehr so, dass dadurch Lastspitzen abgefangen werden. Angenommen ein Unternehmensbereich will stark wachsen bzw. skalieren. Dafür braucht es mehr Mitarbeiter*innen oder automatisierte Prozesse.
Das klingt aber schon nach: Entweder Mensch oder Maschine, findest du nicht?
Du hast recht, das klingt danach. So ist es aber nicht. Um das zu erklären, bringe ich auch gleich einen weiteren Mythos ins Rennen: den Entlassungsmythos. Viele Medien griffen eine Oxford-Studie von 2013 auf und schrieben, dass in den nächsten zehn Jahren 47 Prozent der Jobs im US-Markt wegfallen und durch Automatisierungen bedroht sein würden. Dabei wurde in der Studie aber gar nicht von Jobs gesprochen, sondern von einzelnen Tätigkeiten, die automatisierbar sind. Und damit bekommen wir wieder den Dreh zum ersten Mythos: Nur weil eine ganz bestimmte Tätigkeit im Jobprofil einer Person wegfällt, heißt das nicht zwingenderweise, dass ihre Rolle obsolet ist.
Das heißt, dass bei allen was wegfallen könnte, der Job aber der gleiche bleibt?
Ja und nein. Es ist durchaus möglich, dass durch KI auch einige Jobs gefährdet sind. Meist ist es aber so, dass die gleichen Aufgaben bei vielen unterschiedlichen Mitarbeiter*innen wegfallen. Das heißt, dass diese Menschen mehr Zeit haben, weil ihre Arbeit entzerrt wird. In einigen Fällen können so zwar Stellen gestrichen werden – in Summe kommen wir dadurch aber wieder dazu, unsere Aufgaben so zu machen, wie wir sie machen wollen. Gleichzeitig trägt das dazu bei, dass wir eine höhere Qualität gewährleisten können, weil mehr Zeit da ist. Und mehr Zeit bedeutet auch, schneller Innovationen einführen zu können, weil wir mehr Kapazitäten für die wichtigen Kommunikationsphasen haben.
Das klingt alles super. Aber heißt es nicht auch, dass durch KI „echte“ Kommunikation verhindert wird?
Ja, so heißt es. Aber auch das stimmt so ganz. Weil’s gerade so passend ist, nenne ich das den Social-Distancing-Mythos. Um diesen Mythos zu widerlegen, beschreibe ich mal einen Prozess, den wir auf Basis unserer Umfrageergebnisse automatisiert haben: Jeden Monat sollten bestimmte Berichte an Person x geschickt werden, die einen Monatsbericht daraus macht. Person x hat – weil ihre Kolleg*innen das monatliche Reporting auch mal vergessen – Erinnerungsmails geschrieben. Wenn dann ein Bericht nach dem anderen bei Person x eingegangen ist, musste sie bei der ein oder anderen Kolleg*in nochmal nachfragen. Mit der Bitte, den Bericht im richtigen Format zuzusenden. Solch ein Prozess eignet sich super, um automatisiert zu werden. Und was ist passiert, nach dem wir genau das getan haben? Einerseits hatte Person x mehr Zeit, weil sie keine Erinnerungsmails schreiben musste, andererseits wurden die einzelnen Berichte gleich im richtigen Format zugeschickt, weil der Bot – also die Automatisierung – diesen sonst nicht verarbeiten kann.
Und was hat das jetzt mit echter Kommunikation zu tun?
Das ist ein schönes Schlusswort. Du hast aber noch mehr Mythen im Gepäck, richtig?
Ja, ein paar gibt’s da noch (lacht). Damit räume ich ein anderes Mal weiter auf.