Recycelbare Textilien: „Wir wollen aus alten Fasern neue Fasern herstellen"
Gemeinsam mit dem Berliner Start-up circular.fashion startet OTTO ein Pilotprojekt, um Textilien besser wiederverwertbar und somit nachhaltiger zu machen
Moin Lisa, du betreust bei OTTO die Zusammenarbeit mit circular.fashion. Um was genau geht es da?
LISA FRANKE: Nachhaltigkeit ist in der Modeindustrie ein immer wichtigeres Thema, vor allem wenn es um die End-Of-Use-Frage geht. Sprich: Was passiert mit einem Kleidungsstück, wenn es alt, kaputt oder nicht mehr gewollt ist? Hier setzt circular.fashion an: Textilmüll soll verringert, der Lebenszyklus von Textilien verlängert und die Recyclingquote von Altkleidern deutlich erhöht werden.
Klingt nach einer Herkulesaufgabe.
Absolut. Denn wenn wir in Zukunft wirklich zu 100 Prozent recycelbare Textilien anbieten möchten, müssen wir ganz vorne ansetzen – beim Produktdesign. Wie lange ein Kleidungsstück hält und ob es später vollständig wiederverwertet werden kann, entscheidet sich schon dort. Deshalb arbeitet circular.fashion mit Marken und Unternehmen wie OTTO zusammen und begleitet sie durch den Prozess.
Wo fängt man da an?
Im ersten Schritt geht es um den Aufbau einer technischen Infrastruktur, die kreislauffähige Textilien überhaupt als solche erkennt und dann dem jeweils richtigen Recycling zuführt. Denn: Ob und wie ein Kleidungsstück wiederverwertet werden kann, hängt davon ab, welche Materialien und welche Materialzusammensetzungen sich darin befinden. Unglücklicherweise wissen die Altkleiderbranche und Verwertungsbetriebe oft genau das nicht – was im T-Shirt wirklich drinsteckt, ist also häufig eine Blackbox. Das macht hochwertiges Textil-zu-Textil-Recycling nahezu unmöglich.
Wenn wir nicht wissen, was in den Shirts tatsächlich drin ist, lässt sich das doch schwer lösen, oder?
Schon beim Design der Produkte muss auf die Recyclingfähigkeit der Materialien geachtet und diese Informationen ans Produkt geknüpft werden. Und damit meine ich keine lesbare Information auf dem Pflegehinweis-Label, welches häufig rausgeschnitten wird, weil es vielleicht kratzt oder stört, sondern eine Integration ins Produkt, die automatisiert ausgelesen werden kann.
Und das soll wie funktionieren?
Die Textilien werden mit „Identifiern“ ausgestattet – das sind Labels mit QR-Code, die den Kund*innen erklären, wie die Textilien gepflegt werden sollten, um möglichst lange zu halten und über welchen Weg sie später wieder in den Kreislauf gelangen können. Zusätzlich wird eine RFID- oder NFC-Technologie verwendet, die den Sortierbetrieben eine automatisierte Erkennung und Zuordnung ermöglicht, welcher Recycler das Material bestmöglich recyceln kann. Übrigens können auch Kund*innen die Infos aus diesen NFC-Tags per Smartphone auslesen.
Digitalisierung in meinem T-Shirt. Klingt spannend. Es werden also für das Recycling relevante Informationen gespeichert?
Genau. Ein smartes Kleidungsstück also. Das stört nicht und ist vollkommen ungefährlich.
Warum ist es für OTTO wichtig, bei so einem Projekt dabei zu sein?
Jedes Jahr entstehen riesige Mengen an Textilmüll, Tendenz steigend. Wir finden, dass es hier dringend nachhaltige Lösungen braucht. Im März haben wir einen Designworkshop mit circular.fashion gemacht, der die Herausforderungen, aber eben auch die Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt hat. Und an diesem Punkt befinden wir uns jetzt: Wir lernen wie zirkuläres Design funktionieren kann und erarbeiten nun Ansätze und Lösungen, gemeinsam mit unseren Partnern in den Märkten.
Das hört sich nicht so an, als ginge es übermorgen los...
Stimmt. Eine solche Herangehensweise ist für uns und andere noch sehr neu, das stellt man nicht von heute auf morgen um. Wie gesagt, wir müssen die Entwicklung und Produktion von Textilien komplett neu denken.
Wann könnten erste vollständig recycelfähige Kleidungsstücke bei OTTO in den Verkauf gehen?
Voraussichtlich nächstes Jahr. Ziel ist es, dass jedes dieser Produkte zu 100 Prozent recycelt werden kann und unsere Kund*innen über einen QR-Code am Produkt zusätzliche Informationen über das Produkt und zur richtigen Rückgabe erhalten. Also wie und wohin sie das Produkt schicken können, wenn sie es selbst nicht mehr haben möchten, oder es vielleicht irgendwann aussortiert und recycelt werden soll.
Die Idee, Altkleider zu neuem Leben zu erwecken, ist nicht neu. Auch das Textilmüllproblem ist lange bekannt. Warum erst jetzt so eine Kooperation?
Weil es für große Händler wie OTTO alles andere als einfach ist und lange eine verlässliche Technologie fehlte. Auch wollten wir nicht nur eine Zwischenlösung schaffen. Ein Beispiel: Auch Upcycling von Altkleidern ist ein Trend, den wir lange beobachtet haben. Doch abgesehen davon, dass der Aufwand hoch und die Nachfrage eher klein ist, werden auch Upcycling-Produkte irgendwann zu Müll, der nicht recycelt werden kann. Damit sind die eingesetzten Ressourcen – wenn auch erst nach einem längeren Zeitraum – letztendlich doch wieder Abfall. Das Problem verschiebt sich also, wird aber nicht gelöst.
Gut, aber kann so ein Problem überhaupt je gelöst werden?
Ja, etwa mit einem hochwertigen Faser-zu Faser-Recycling. Dafür müssen wir allerdings genau wissen, welche Materialien und Chemikalien zu welchem Prozentsatz in einem Textil enthalten sind. Nur so können wir aus alten Fasern neue Fasern herstellen, die dann für neue Textilien eingesetzt werden können. Und nur dann können wir von einem echten Kreislauf für Textilien und von echter Kreislauftwirtschaft („Circularity“) sprechen. Das ist unser Ziel – und dafür ist die Zusammenarbeit mit circular.fashion ein erster sehr wichtiger Schritt.