Papa in Vollzeit, Chef in Teilzeit: Wie man(n) Vereinbarkeit schafft
Eine Führungskraft, die Teilzeit arbeitet, zweimal die Woche die Kinder hütet und beim Team und im Unternehmen damit gut fährt? Gibt es, gesehen bei OTTO.
Fokussiertes Arbeiten in Vollzeit, den steilen Karriereweg immer vor Augen und die Frau hütet zu Hause die Kinder: „Das hätte meine Frau so niemals gewollt“, erzählt Diedrich Bremer beim Kaffee im Bistro. Der Bereichsleiter im Otto Group Consulting hat ein anderes Arbeitszeitmodell für sich und seine Familie gefunden. Diedrich arbeitet auf einer Teilzeitstelle, ist montags im Homeoffice und holt seine Kinder zweimal die Woche von der Kita ab. "Unsere Kinder sind jetzt fünfeinhalb und dreieinhalb Jahre. Seitdem unser Kleiner in die Kita gekommen ist, arbeiten meine Frau und ich Teilzeit – mittlerweile wieder auf 90 Prozent. So können wir Arbeit und Familie am besten miteinander vereinbaren."
In den ersten Jahren teilten sich Diedrich und seine Frau, die auch bei OTTO arbeitet, mit 80-Prozent-Stellen so auf, dass beide unter der Woche eineinhalb Tage frei hatten. So konnten sie Zeit für Haushalt und sich selbst einplanen. „Seit ein paar Monaten verzichten wir auf den freien Vormittag für uns selbst, holen nachmittags dann die Kinder ab.“ Diedrich nahm dazu in den ersten Monaten Elternzeit, doch eines ist für ihn ganz klar: Die ersten Monate mit einem Kind sind zwar wichtig, doch eine langfristige Wirkung hat man seiner Meinung nach nur mit einem Modell wie die Teilzeit. „Wenn du es partnerschaftlich aufteilst, braucht es ein Arbeitszeitmodell, mit dem Vater und Mutter dauerhaft zufrieden sind.“ Was macht Diedrich in der Zeit, wenn er zu Hause ist? „Es sind mehrere Themen, die ich mir auf den Montag gelegt habe. Da ist einmal Sport, dann Arzttermine, Dinge, die am Wochenende liegen geblieben sind, Kinder von der Kita abholen, Lesen und Haushalt. Es sind viele Alltagsthemen, ein aufgelockerter Tag.“
Wenn du es partnerschaftlich aufteilst, braucht es ein längerfristiges Arbeitszeitmodell, mit dem Vater und Mutter zufrieden sind.
Beim ersten Kind landeten Diedrich und seine Frau ziemlich schnell wieder bei der klassischen 100-Prozent-Stelle. Ein sehr anfälliges Vorhaben, denn Kinder werden krank, Kitas schließen und die Großeltern wohnen auch nicht in der Nähe. „Den Regelbetrieb kriegt man vielleicht mit 100 Prozent hin, aber Ausnahmen sind die Regel und plötzlich kannst du einem Vollzeitjob nicht mehr gerecht werden - und das wiederum eine Frage des eigenen Wertegerüsts. Denn man liefert immer weniger, als das, was man versprochen hat und das fühlt sich doof an, zumindest ist das bei mir so. Dann lieber sagen, man reduziert für eine gewisse Zeit und wird beidem gerecht“, erklärt Diedrich. Doch kann ein Bereichsleiter zwei Tage in der Woche früher gehen oder auch mal gar nicht da sein? Kann man Chef sein ohne ständige Präsenz?
Die Gedanken kreisen
Einige Väter tun sich heute immer noch schwer damit, zuzugeben, dass Engagement für Kinder und Familie für sie wichtig ist - vor allem gegenüber den Arbeitgeber*innen. Auch Diedrich hatte Diskussionen mit seiner Frau. „Wir haben viel drüber gesprochen und ich habe am Anfang sehr damit gefremdelt. Weil die Idee in Teilzeit zu gehen, für mich im ersten Impuls bedeutete, alle beruflichen Ambitionen aufzugeben. Heute glaube ich, dass dieses Denken vor allem etwas Gesellschaftliches ist, etwas das uns vorgelebt wurde und das wir erst einmal wieder abstreifen müssen.“ Der 38-Jährige dachte nie daran, dass er mit 80 Prozent seine Aufgaben nicht mehr sinnvoll wahrnehmen kann. Es ging ihm eher um das Signal, das er sendete: „Ich hatte Angst vor dem Abstellgleis. Das hat sich erst durch gemeinsame Diskussionen aufgelöst. Und natürlich habe ich dann auch gesehen, wie ungleich es eigentlich ist, wenn eine Partei zu Hause ist und die andere arbeitet. Bei mir kam schnell die Frage auf: ‚Warum können nicht beide beides haben?‘“ Für das Paar war das Teilzeitmodell der Schlüssel, um individuell für das eigene Glück sorgen zu können. Diedrichs Chef hatte mit der vorgeschlagenen Regelung kein Problem. Diskussion beendet.
Wenn sich die Kommunikation über männliche Führungskräfte und Mitarbeiter in Teilzeit am Arbeitsplatz ändern soll, dann braucht es Mutige, die damit beginnen. Diedrich hatte zumindest gegenüber seinem Team kein schlechtes Gefühl. „Die Annahme, die manche Menschen im Kopf haben, dass Mitarbeiter völlig haltlos ohne den Chef sind, die stimmt einfach nicht und ist Quatsch.“
Teams „enabeln“
Teams arbeiten selbstständig und Aufgaben werden auf viele Schultern verteilt. Das ist vor allem im Tagesgeschäft so, weil die Führungskraft oft in Terminen sitzt, auf Konferenzen ist und außerdem keine Anwesenheitspflicht im Büro herrscht. „Ich kam ziemlich schnell in die Situation, Aufgaben verteilen und abgeben zu müssen. Das hat auch das Team selbstständiger gemacht. Im Rahmen des Projektgeschäfts, in dem ich tätig bin, funktioniert das sehr gut so.“ Für sein Team ist Diedrich auch an freien Tagen erreichbar. Das ist für ihn als Bereichsleiter wichtig. Wenn sich größere Termine nicht anders legen lassen, dann kommt er rein, verschiebt seinen freien Tag. In einem agilen Arbeitsumfeld, in dem man dem Team Vertrauen schenkt, sollte eine Führung, wie Diedrich sie lebt, Normalität sein.
Die Annahme, dass Mitarbeiter völlig haltlos ohne den Chef sind, die stimmt einfach nicht
Es ist in vielen Unternehmen noch eine Seltenheit, dass Männer weniger als 100 Prozent arbeiten. Laut dem Statistischen Bundesamt lag die Teilzeitquote von erwerbstätigen Frauen mit minderjährigen Kindern im Jahr 2017 bei 66,5 Prozent, die Quote der Männer lag bei sechs Prozent. Diedrich hat für sich gemerkt wie gut man mit einer gewissen Flexibilität leben kann und wie wichtig es ist, Familienzeit und Arbeitszeit gleichberechtigt aufzuteilen.
„Wie stehst du zu New Work?“
„Ich bin selbst Nutznießer dieser Flexibilität. Und finde es beeindruckend, wie viel sich hier bei OTTO gewandelt hat. Ich genieße das für mich sehr und bin ein großer Freund davon.“ Doch in vielerlei Hinsicht wird für Diedrich New Work falsch verstanden. „Es ist kein Selbstzweck. Es geht um Kulturwandel, um Organisationsentwicklung und vor allem um eine Neuorganisation der Arbeit, das ist der relevanteste Schritt. Wir müssen es schaffen crossfunktional zu denken und noch schneller zu werden. Dafür brauchen wir weniger große Entscheidungsrunden, weniger interne Beschäftigungstherapie und mehr Entscheidungen“, so Diedrich.
Gleichzeitig bedeutet New Work für ihn aber auch, dass sich Job und Arbeit in einer modernen Gesellschaft in Einklang bringen lassen müssen. Bestes Beispiel: Für viele Väter ist das Familienleben heute wichtiger als es früher der Fall war. Dementsprechend wichtig sind Arbeitsmodelle, die auch Vätern heute Flexibilität bieten. Davon profitiert auch das Unternehmen: „Für mich selbst war es wichtig zu verstehen, wie viel wertvolle Zeit ich für meine Familie mit diesem Modell gewinnen kann und dass das die Gehaltseinbußen und den nötigen Koordinationsaufwand deutlich überwiegt.“
Wie viel Platz soll und darf die persönliche Zeit im Alltag einnehmen? Diedrich hat sein Modell gefunden, bei dem er Zeit mit der Familie hat und trotzdem seine Ambitionen bei der Arbeit nicht aus den Augen verliert.