Frollegen – Fluch oder Segen?
Wie sich Freundschaften am Arbeitsplatz auf die Produktivität eines Unternehmens und die persönliche Karriere auswirken können.
Von Montagmorgen bis Freitagnachmittag sind Kollegin E. und Kollege T. tagsüber verheiratet. Morgens tanzen sie ein Begrüßungsritual, mittags haben sie „Lunch-Dates“ und kurz vor Feierabend arbeiten sie die Erlebnisse des Tages gemeinsam auf. In der Zeit dazwischen stimmen sie Projekte und Präsentationen ab und erledigen gemeinsam das so genannte Tagesgeschäft – das alles in bestem Einvernehmen. Ihr Umgang im Büro miteinander ist vertrauter und herzlicher als der mancher „echter“ Langzeit-Ehepaare. Man kann also sagen: Läuft bei ihnen.
Karrierelevel und Hierarchie-Ebene innerhalb des Teams sind gleich, Aufgaben und Verantwortungsbereich so ähnlich, dass E. und T. den gleichen Karriereweg anstreben oder – klarer ausgedrückt – sich in der beruflichen Zukunftsplanung durchaus in den Weg kommen könnten. Theoretisch. Denn schließlich sind sie „Arbeitsehefrau und Arbeitsehemann“ – so nennen sie ihr platonisches Verhältnis am Arbeitsplatz, das man kurz auch als eine besondere Form der „Freundschaft unter Kollegen“ beschreiben könnte. Dazu gehört neben der offensichtlichen Vertrautheit im Büro auch, gelegentlich nach Feierabend oder am Wochenende Zeit gemeinsam zu verbringen. Rivalität und Konkurrenz sind in diesem Konstrukt nicht vorgesehen.
Alles total normal
Mit ihrer Arbeitsehe stehen E. und T. nicht allein da. Eine Forsa-Umfrage, die das Karrierenetzwerk Xing vergangenen Sommer in Auftrag gegeben hatte, kommt zu dem Schluss: Jeder Zehnte hat ein „Work Wife“ oder einen „Work Husband“, definiert als „nicht nur eine gewöhnliche Freundschaft am Arbeitsplatz, sondern eine eheähnliche Vertrauensbeziehung mit einem Kollegen oder einer Kollegin“.
Freundschaften im Büro, dem Ort, an dem sich der Arbeitnehmer gewöhnlich viele Wochenstunden aufhält, sind heute so normal wie die klassische Chef-und-Sekretärin-Romanze. Mehr Regel, denn Ausnahme. In den vergangenen Jahren hat sich für diese Mischbeziehungsform sogar ein eigener Begriff etabliert: Freunde, die gleichzeitig Kollegen sind, heißen heute „Frollegen“.
Je nach Branche und Unternehmen gibt es ganze Teams und Abteilungen, in denen die Mehrheit sich nicht nur im Büro gut versteht, sondern auch privat befreundet ist.
Bürofreundschaft – der Killer der Produktivität?
Soweit, so gut. Oder? „Frollegen – das große Missverständnis“ titelte die Süddeutsche Zeitung vor zwei Jahren und stellte die These auf, dass Freundschaften am Arbeitsplatz schädlich für die Karriere sind. Im Artikel heißt es, dass ein gutes Betriebsklima nicht unbedingt gut sei für den Erfolg der Firma. Denn Qualität brauche Reibung. Wenn sich alle Kollegen als Freunde verstehen, übertrumpfe das Streben nach Kumpelhaftigkeit das Streben nach Qualität.
Ist das so? „Na ja“, sagt Dörte Müller, „ganz so schwarz-weiß sehe ich das nicht.“ Sie kennt sich aus in den sozialen Strukturen von Technologie-Unternehmen. Als Agile Organisationsentwicklerin bei OTTO coacht Dörte agile Teams in Fragestellungen rund um das Thema Zusammenarbeit, Führung, Selbstorganisation und New Work. „Aus eigener Erfahrung und meinen Beobachtungen kann ich sagen, dass Bürofreundschaften die Produktivität nicht mindern. Aber auch nicht unbedingt stärken.“ Freundschaften am Arbeitsplatz sind ihrer Meinung nach deshalb gut, weil man nicht nur die gemeinsamen Freuden des Arbeitstags teilt, „sondern sich aus solchen Beziehungen auch immer Leidensgenossen ergeben. Menschen, die genau verstehen, welche persönlichen Herausforderungen oder Probleme man im Arbeitsumfeld hat.“ Der Kollege als Vertrauensperson. Außerdem sei man in freundschaftlichen Kollegenbeziehungen vielleicht nicht unbedingt produktiver als in vergleichsweise konkurrenzbezogenen, aber auf jeden Fall motivierter, positive Resonanzen zu erzeugen. Für Dörte ein klarer Vorteil innerhalb einer Unternehmenskultur.
Auch Männer mögen’s harmonisch
Das Streben nach Harmonie und Freundschaft sei übrigens kein „typisches Frauending“, weiß die Organisationsentwicklerin. Gerade in den agilen Teams in der Softwareentwicklung beobachtet sie viele Männerfreundschaften. „Die verbringen viel Zeit gemeinsam, kennen sich auf menschlicher Ebene teils in- und auswendig, vertrauen einander und ticken gleich.“ Und das sei bei der Arbeit und für die Produktivität des Unternehmens in keinster Weise hinderlich. „Ganz im Gegenteil“, ist sich Dörte sicher: „Gerade in den interdisziplinären Teams ist es ein entscheidender Faktor, dass die menschliche Ebene passt. Hier arbeiten alle gemeinsam am großen Ganzen, es kann nicht jeder sein Ding machen.“ Einen Menschen ganzheitlich zu betrachten – im Positiven wie im Negativen – führe zu einem achtsamen Umgang miteinander.
"Gerade in den interdisziplinären Teams ist es ein entscheidender Faktor, dass die menschliche Ebene passt."
Ob und was man dann als Freundschaft bezeichnet und wie man diese pflegt und kultiviert, bleibt jedem selbst überlassen. Genauso wie es die individuelle Entscheidung ist, ob aus einer platonischen Büro-Liaison am Ende vielleicht doch noch mehr wird. Dörte Müller hält übrigens nicht viel davon, Freundschaften im Büro als „Arbeitsehe“ zu titulieren. „Der Begriff und die damit verbundene Bedeutung der Ehe ist in diesem Kontext einfach fehlplatziert. Eine Freundschaft unter Kollegen ist im Prinzip erstmal nichts anderes als eine Freundschaft außerhalb der Unternehmensmauern: eine Vertrauensbeziehung zwischen zwei Menschen, deren Wert und Rahmen die Beteiligten selbst festlegen, ganz individuell.“
Genau das haben E. und T. auch getan. Was ihre besondere Beziehung für die persönliche Karriereplanung und das eigene Weiterkommen bedeutet, entscheiden sie selbst. Denn am Ende können nur sie beide die Frage selbst beantworten, wie viel Arbeit die Freundschaft verträgt – und wie viel Freundschaft die Arbeit.