Die neuen Alten
Wie die „Silver Surfer“ ticken und was die Generationen im Berufsleben voneinander lernen können
Warum denken wir meistens, dass Älterwerden schlechter ist als jung zu sein?
Carola Kleinschmidt: Zum einen mangelt es uns an realistischen Vorbildern. Die Bilder von alten Menschen, die unser Denken prägen, haben mit der heutigen Realität nicht mehr viel zu tun. Es gibt so viele fitte und sehr aktive 70- oder auch 80-Jährige heute – anders als zu Zeiten unserer Großeltern. Zum anderen hält uns unser sogenannter kognitiver Bias, also unsere typische Wahrnehmungsverzerrung, in den alten Zuschreibungen gefangen.
Was heißt das?
Menschen schließen beispielsweise schnell von einer bekannten Person auf eine gesamte Gruppe. Hat man beispielsweise einen älteren miesmürrischen Nachbarn, geht man davon aus, dass auch alle anderen Personen im gleichen Alter tendenziell so sind. Es ist schwer, so ein Bild wieder zu verändern, wenn es sich erst einmal in den Köpfen festgesetzt hat.
Was kann man denn dagegen tun?
Man könnte sich zum Beispiel mal bewusst fragen: „Wer ist eigentlich die vitalste Person, die ich kenne?“ Dann wird man feststellen, dass die Menschen, die einem in den Sinn kommen, oft ältere sind. Und wir merken: Heute geht es eigentlich nicht mehr darum, wie häufig jemand schon Geburtstag gefeiert hat, sondern wir empfinden Vitalität als jung – und die ist recht unabhängig vom Alter.
So einfach?
Na ja, zumindest bringt uns diese Denkrichtung auf einen anderen Weg. Ein positiver Blick aufs eigene Älterwerden ist übrigens auch hilfreich: Die amerikanische Psychologie-Professorin Becca R. Levy von der Yale University hat über Jahre erforscht, welche Faktoren das Leben am stärksten beeinflussen.
Und?
Sie kommt zum Schluss: Der positive Blick aufs Älterwerden ist der stärkste Faktor für ein langes Leben und bringt einem durchschnittlich mehr als sieben zusätzliche Lebensjahre. Das liegt daran, dass die Floskeln „Ach, dafür bin ich jetzt zu alt“ oder „Das ist das Alter“ dazu führen, dass wir aufhören, uns aktiv um uns zu kümmern.
Stichwort „Alter und Job“: In Ihren Vorträgen beziehen Sie sich auch darauf, dass unsere Lebenserwartung in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist. Ist das Arbeiten bis 67 dann die Zukunft oder eine Zumutung?
Es ist enorm: In den letzten 150 Jahren haben wir im Schnitt 30 Jahre Lebenszeit gewonnen. Um 1850 wurden die Menschen im Schnitt nur 60 Jahre alt. Heute geht man davon aus, dass viele 50-Jährige wohl 90 werden. Die Kinder, die derzeit geboren werden, sollen im Schnitt sogar 100 Jahre alt werden. Insofern sind die zwei Jahre längere Arbeitszeit eigentlich keine Zumutung. Studien zeigen sogar, dass ein Drittel der Beschäftigten richtig gerne länger arbeiten würden. Arbeit ist ja auch ein Ort, an dem viel Tolles passiert: Man kann seine Talente einsetzen, hat nette Kollegen, bekommt im Idealfall Anerkennung ...
Also sollten wir uns mal alle locker machen, anstatt gegen die Rente mit 67 zu wettern?
Das Problem ist eher, dass die Menschen häufig das Gefühl haben, dass sich hinter der verlängerten Arbeitspflicht eine versteckte Rentenkürzung verbirgt.
Eine Person durchläuft in ihrem Berufsleben verschiedene Phasen. Ein 30-Jähriger hat andere Bedürfnisse als jemand über 50 Jahre. Wie sollten Unternehmen damit umgehen?
Es gibt viele Dinge, die ein Unternehmen tun kann, um die Mitarbeiter in diesen unterschiedlichen Phasen zu unterstützen: Von flexiblen Arbeitszeitmodellen, Weiterbildungen für jede Altersgruppe, und Gesundheitsförderung bis zum Unterstützen bei beruflichen Veränderungen. Job-Rotation ist da zum Beispiel ein Stichwort. Man weiß heute: Wer sein gesamtes Arbeitsleben immer die gleichen Tätigkeiten ausführt, bekommt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Abnutzungserscheinungen. Das können körperliche Probleme sein – zum Beispiel, wenn man ständig die gleiche Hebebewegung macht – oder auch psychische – zum Beispiel, wenn man viele Jahre nur mit den schwierigen Kunden zu tun hat.
Zwei Jahre längere Arbeitszeit sind eigentlich keine Zumutung.
Welche Lösungen gibt es?
Firmen sollten es fördern, dass die Beschäftigten sich weiterentwickeln und so auch immer wieder neue Fähigkeiten und Tätigkeiten bekommen.
Wie können die Generationen im Job voneinander profitieren?
Wenn wir aufhören, uns ständig gegenseitig durch die Altersbrille zu bewerten, wird sich viel verändern. Dann könnten wir den Impuls des Absolventen einfach anschauen und gucken, was daran für das Projekt interessant ist – ohne ihm gleich ein „Das wird eh nicht klappen“ entgegenzuschmettern. Und wir könnten den Einwand eines Älteren, dass bei einem ähnlichen Projekt dies und jenes schief gelaufen ist, als guten Hinweis und nicht als Gemecker begreifen. Und vermutlich würde dann auch ganz oft sichtbar werden, dass es durchaus Ältere gibt, die sich sehr für die digitale Welt interessieren – und jüngere, die überhaupt nicht digital affin sind.
Es klingt so einfach. Trotzdem werden oft regelrechte Grabenkämpfe zwischen den Generationen geführt. Millenials vs Silver Surfer, sozusagen …
Ein Problem in vielen Firmen ist, dass sich unter dem Deckmäntelchen der Altersfrage oftmals ungeklärte Konkurrenzsituationen verstecken. Wenn man Jüngere fragt, warum sie so genervt von den Älteren sind, dann kommt auch ans Licht, dass sie ganz schlicht Sorge haben, dass sie nie Verantwortung übernehmen dürfen, weil die Älteren die Posten besetzen, die sie gerne haben wollen. Und dass sie deshalb auch gerne ein wenig an der Autorität der Älteren sägen. Und die Älteren müssen zugeben, dass sie sich vor der Wucht der Jüngeren auch fürchten. Und sie deshalb manchmal mit den Sprüchen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ abschmettern. Und es ist ja auch Fakt, dass es in einer Firma immer auch um Posten und Positionen geht. Hier müsste man offener diskutieren, statt sich hinter Altersbashing zu verstecken.