Ade Feierabend: So absurd ist die Idee zum Thema „Work-Life-Blending“
Berufliches wird nach Feierabend erledigt, Privates immer mal zwischendurch. Die totale Vermischung von Privat- und Berufsleben nennt sich Work-Life-Blending – und ist vollkommener Schwachsinn.
Ein Kommentar von Irene Oksinoglu, Leiterin FutureWork bei OTTO
Ein nahtloser Übergang zwischen Privat- und Berufsleben. Zwei Welten werden zu einer. Die Familie wird in das Unternehmen integriert, für das man lebt, arbeitet, atmet. Beim Work-Life-Blending geht es genau darum: Der Fokus liegt auf der Verschmelzung von Lebenswelt und Arbeitswelt. Freizeitaktivitäten gestalten? Warum nicht auf dem Campus des Unternehmens. Essengehen? Kostenlos in den Restaurants der Firma. Ein Auto leasen? Über die Arbeit. Eine Wohnung anmieten? Am besten direkt auf dem Grund und Boden der Firma. Klingt alles absurd? Ist es auch. Doch Work-Life-Blending wird von einigen Wissenschaftler*innen vorausgesagt. Es ist die Kehrseite von Work-Life-Balance. Nein, noch intensiver, es ist die Auflösung von „Work“ und „Life“.
Die Idee der „Morgenstadt“
Es ist eine gefährliche Gratwanderung, wenn – wie bei allen Dingen – es zu sehr in die Extreme geht. Ich denke, dass eine Verschmelzung situativ passend und praktisch sein kann – eine klare Trennung aber durchaus notwendig ist. Ich behaupte, dass eine bewusste Trennung die Aktivierung des „kreativen Selbst“ fördert und eine permanente Verschmelzung zur „Blindheit“ führt.
Der nahtlose Übergang von Berufs- und Privatleben wurde schon 2016 von der Wirtschaftswoche thematisiert und Hans-Jörg Bullinger stimmte 2012 in seinem Buch „Morgenstadt“ auf ein klügeres Arbeitsleben in der Stadt von morgen ein. In „Morgenstadt“ zeichnet der Autor und die Autorin Brigitte Röthlein – mithilfe einer Forschungsinitiative verschiedener Fraunhofer-Institute – neue Methoden zur Nutzung von Stadtvierteln, die selbst Strom und Wärme erzeugen, Elektroautos nutzen und intelligente Häuser bauen. Weitere Themen des Buches sind Energie, Mobilität, Bauen, Wohnen und die Arbeitswelt. Bullinger präsentiert Denkanstöße, wie das städtische Leben in Zukunft aussehen könnte. Gerade im Bereich Wohnen ist die Entkopplung der Arbeit von Zeit und Ort die Voraussetzung für „Work-Life-Blending“. So sind nicht nur Kulturangebote, sondern auch der Arbeitsplatz praktischerweise gleich mit integriert. Es ist ein kaum mehr wahrnehmbares Springen zwischen Beruf und Privatheit. Natürlich gibt es Unternehmen die von dieser Idee schwärmen. Gebiert sie schließlich allzeit bereite Mitarbeiter*innen.
Es gibt Firmen, deren Firmengelände ähneln einer Mischung aus Uni-Campus, Ferienressort und Siedlung. Dort frühstücken Mitarbeiter*innen nicht nur zusammen, sie verbringen auch ihre Wochenenden auf dem Campus. Man lebt gemeinsam. Es gibt einen großen Katalog an Annehmlichkeiten: Beachvolleyball-Anlage, mehrere Fitnesscenter, Kletterwände, Kegelbahnen, gepflegte Gemüse- und Kräutergärten und dutzende Restaurants. Dazu stehen natürlich Ärzt*in, Zahnärzt*in, Psycholog*in, Friseur*in und Masseur*in zur Verfügung. Nie wieder diese Welt verlassen müssen.
Trennung von Arbeit und Freizeit hat etwas Gesundes
Alle Aspekte des eigenen Lebens haben plötzlich etwas mit Arbeit zu tun. Da scheint es so, als sei die Welt „draußen“ sehr unattraktiv. Einziges Problem: Der Blick über den Tellerrand, der Austausch mit Anders-Denkenden fehlt. Als Leiterin FutureWork bei OTTO, setze ich mich für flexible Arbeitszeiten und -orte ein. Ich finde Home Office sollte Normalität sein, sobald es der Aufgabe dienlich ist. Wir achten auf Arbeits- und Überstunden, fördern Freizeitgestaltung außerhalb des Campus, trennen die Welten. Work-Life-Blending ist keine Alternative zu Work-Life-Balance. Natürlich zeigt sich manchmal: “not one-size-fits-all“ – somit ist die Balance zwischen Verschmelzung und Trennung eigenverantwortlich zu finden und hängt auch vom Arbeitskontext und Individuum ab.
Die Trennung von Arbeit und Freizeit hat allerdings etwas Gesundes und das meine nicht nur ich, dass sagen zahlreiche Studien: Zum Beispiel die Untersuchung der Universität Zürich aus 2017, die in der Fachzeitschrift „Business and Psychology“ erschien. Die Forschenden fanden heraus, dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit so gezogen werden muss, dass das Wohlbefinden nicht geschwächt wird. Die Vermischung von Beruflichem und Privatem führe dazu, dass sich Arbeitnehmer*innen schlechter erholen können. Nicht nur körperlich sondern auch geistig! Das Ergebnis des Randstad Arbeitsbarometers von 2018 zeigt dazu, dass knapp zwei Drittel der Arbeitnehmer*innen in Deutschland unter 25 Jahren nach Feierabend schlecht abschalten können. Wie soll das nur mit Work-Life-Blending enden? Das Konzept bindet vielleicht an ein Unternehmen, durch unterschiedliche Goodies. Aber langfristig kann nur ein „Abschalten“ zu einer sehr guten Arbeitsleistung führen. Und deswegen muss es einen Feierabend geben – außerhalb der Unternehmenswelt.