35.000 Likes: Wie ein Syrer das deutsche Ausbildungssystem erklärt
Faisal kommt 2014 nach Deutschland und spricht die Sprache nicht. Er versteht nicht, worüber die Menschen auf der Straße sich unterhalten, was die Frau an der Kasse im Supermarkt zu ihm sagt. Aber das hält ihn nicht davon ab, auf Menschen zuzugehen. Warum man Berührungsängste haben sollte, nur weil man eine Sprache nicht perfekt spricht, hat der 29-Jährige noch nie verstanden. Schließlich lernt man eine Sprache kaum besser als durchs Sprechen. Faisal spürt eine Distanz zwischen Deutschen und Migranten. Viele Migranten trauen sich nicht, Deutsche anzusprechen, manche Deutsche haben Berührungsängste mit Migranten. Da stehen Vorurteile im Raum. Aber Faisal ist offen.
Menschen haben Angst vor dem Fremden. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass das Fremde nicht fremd bleibt.
Flucht vor dem Krieg und Neuanfang in Hamburg
Offen ist Faisal auch für jede Menge Wissen. Zum Beispiel aus den Naturwissenschaften. In seiner Heimatstadt Damaskus studiert Faisal Chemie und steht kurz vor dem Universitätsabschluss. Dann kommt der Krieg. Und mit ihm kommt das Ende seines Studiums, seines Zuhauses und der Beziehung zu seiner Freundin Rahaf. Während Rahaf nach Saudi Arabien flieht, gelangt Faisal über Umwege nach Hamburg. Erst nach zwei Jahren im Libanon, dem Heimatland seiner Mutter, wird er Teil eines EU-Programmes, reist legal mit seiner Mutter und seinem Bruder Abdul nach Deutschland ein und bekommt hier die Chance auf einen Neuanfang. Das war 2014.
Gleich zu Beginn seiner Zeit in Hamburg besucht er "Welcome Dinner", lernt Menschen kennen, findet Freunde. So auch Birte Rauf und Nina Briskorn. Die beiden Frauen arbeiten bei OTTO, berichten Faisal vom deutschen Ausbildungssystem und erklären, was es mit einer Ausbildung auf sich hat, denn so etwas gibt es in Syrien nicht.
Der ehemalige Student besucht Deutschkurs über Deutschkurs, immer mit dem Ziel, bald ins Berufsleben starten zu können. Schon bald darauf verschickt er Bewerbungen: drei für duale Studiengänge, neun für Ausbildungen. Alle im IT-Bereich. Am Ende kann Faisal sogar zwischen zwei Ausbildungsplätzen wählen und beginnt pünktlich zum Ausbildungsstart 2016 seine Lehre als Informatikkauffmann bei OTTO.
„Syrer Azubis“ erklärt das deutsche Ausbildungssystem auf Arabisch
Gleichzeitig möchte Faisal weitergeben, was er über das Ausbildungssystem gelernt hat. Er veröffentlicht Posts bei Facebook, erklärt das System und berichtet von seinen eigenen Erfahrungen – nicht auf Deutsch, sondern auf Arabisch. Die Resonanz auf diese Posts ist für den damals 27-Jährigen überwältigend. Mehr und mehr Landsleute, die auch nach Deutschland gekommen sind, schreiben ihm Nachrichten, stellen Nachfragen, wollen bei Facebook mit ihm befreundet sein. Faisal beschließt eine Gruppe zu gründen. Er nennt sie „Syrer Azubis“. Hier können alle Mitglieder posten, Fragen stellen und die Fragen anderer beantworten.
Während Faisal seine Wochen im Büro oder in der Berufsschule verbringt, sitzt er an den Wochenenden vor seinem Computer und schreibt. Schreibt über seine Ausbildung und über andere. Gemeinsam mit seinem Bruder Abdul, der einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskaufmann bei Edeka gefunden hat und zwei weiteren Mitgliedern aus der Gruppe, erstellt er schließlich die Webseite syrazubis.de. Das Konzept bleibt gleich, aber die Dimensionen werden größer. Die jungen Männer klären auf über die unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland, über Berufsfelder, Perspektiven und Gehälter, über Anschreiben und Bewerbungsmappen. Die Informationen recherchieren sie selbst, nutzen ihre Sprachkenntnisse, um die Funktionsweise des Systems in der Sprache zu vermitteln, die für viele ihrer Freunde, Bekannte und Landsleute leichter zu verstehen ist, wenn sie gerade nach Deutschland kommen – auf Arabisch.
Mittlerweile erklärt Faisal auf seiner Homepage über 90 verschiedene Ausbildungsberufe. Und dabei geht es ihm nicht nur um die Informationen an sich. Faisal begreift Informationen als Schlüssel zur Integration. Deshalb ist seine Arbeit ihm so wichtig.
Mit meiner Seite möchte ich zu einer Art syrischem Modell beitragen. Ich will nicht in einer Parallelwelt leben, sondern den Deutschen zeigen, dass wir coole Leute sind. Wir wollen arbeiten und wir können etwas!
Eine Ehe trotz aller Widerstände
Die Website ist eine Erfolgsgeschichte. Faisals Postfächer sind voll. Es gibt viele Migranten die Fragen haben, sich bewerben wollen, arbeiten wollen. Aber die Zeit, die Faisal für diese Arbeit aufwenden kann, muss gut organisiert sein. Wenn er nicht gerade im Büro oder in der Schule ist, jobbt er an den Wochenenden. Alles, damit seine Frau nach Deutschland kommen kann – richtig, seine Frau. Denn obwohl der Krieg sie 2012 auseinanderbringt, bleiben Faisal und Rahaf in Kontakt. Nach fünf Jahren besucht er seine Jugendliebe 2017 in Saudi Arabien und heiratet sie. Faisal kehrt zurück nach Deutschland, Rahaf muss zurückbleiben. Die Entscheidung, ob sie nach Deutschland einreisen und zu ihrem Mann ziehen darf, steht nun kurz bevor. Noch im Oktober erwartet das Paar die Antwort. Wenn Faisal von dieser Aussicht erzählt, leuchten seine Augen. Dieses Zeichen versteht man in jeder Sprache.