OTTO-CEO Marc Opelt zur aktuellen Geschäftslage: „Wir sind auf Kurs“
Das letzte Geschäftsjahr war herausfordernd. Was war das Ergebnis?
Das Marktumfeld ist weiterhin angespannt, das gesamtwirtschaftliche Konsumklima bleibt verhalten. Dennoch stimmt uns das leichte Umsatzwachstum von 2 Prozent vorsichtig optimistisch. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass der bevh für den deutschen E-Commerce einen Umsatzrückgang von knapp 12 Prozent gegenüber Vorjahr beziffert. Maßgeblich für unser Ergebnis war das florierende Marktplatzgeschäft, auf das ein Drittel unseres Gesamtumsatzes entfällt. Wir konnten im vergangenen Jahr mehr als 1.500 neue Partner anbinden und die Gesamtzahl um 33 Prozent auf über 6.500 steigern. Die Zahl der Artikel auf der Plattform ist um 26 Prozent auf 18 Millionen gestiegen. Mit 11,7 Millionen aktiven Kund*innen können wir hier einen Anstieg um 3 Prozent gegenüber Vorjahr berichten. Auch die Frequenz der Besuche ist um 9 Prozent gewachsen und liegt nun bei rund 3 Millionen Visits pro Tag. Zudem sehen wir eine besonders stark gestiegene Nachfrage bei den Werbelösungen von OTTO Advertising. Hier konnten wir ein Umsatzplus von 39 Prozent erzielen. Das zeigt: Wir sind auf Kurs!
Wie blickt OTTO auf das kommende Geschäftsjahr?
Das starke Wachstum in unseren neueren Erlösströmen, also dem Marktplatz- und dem Werbegeschäft, bestärkt uns darin, dass die Transformation zur Plattform der richtige Schritt war. Und diese haben wir im vergangenen Jahr trotz widriger Umstände weiter vorangetrieben, beispielsweise mit der Vereinheitlichung unserer Warenkörbe für Produkte aus dem eigenen Handelsgeschäft und Partnerartikel. Jetzt müssen wir auf das Erreichte aufbauen. Unser klares Ziel in diesem Jahr ist es, die vielen technischen Veränderungen in echte Nutzer*innenvorteile überführen. Gleichzeitig hoffen wir natürlich, dass sich der Markt weiter entspannt.
Seit dem Entschluss, die Plattform für externe Partner zu öffnen, haben wir immer klar formuliert, dass wir uns den Wettbewerb in den eigenen Shop holen.
Wie genau soll das gelingen?
Entscheidend hierfür wird eine klarere Fokussierung im eigenen Handelsgeschäft sein, um dieses noch besser in Einklang mit dem wachsenden Marktplatz zu bringen. Zudem wollen wir zum Sommer neue Sortimente auf dem Marktplatz anbinden, darunter auch Produkte mit anderen Mehrwertsteuersätzen als 19 Prozent – beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel und Energietechnik.
Apropos Marktplatzgeschäft: Dieses erfährt ein massives Wachstum, das eigene Handelsgeschäft läuft hingegen verhalten. Kannibalisieren sich diese beiden Erlösströme?
Seit dem Entschluss, die Plattform für externe Partner zu öffnen, haben wir immer klar formuliert, dass wir uns den Wettbewerb in den eigenen Shop holen. Von der „Konkurrenz am Artikel“ profitieren nicht zuletzt unsere Kund*innen. Insbesondere bei einem so exponentiellen Wachstum des Partnergeschäfts, wie wir es erleben, ist es in der Plattformökonomie jedoch normal, dass es anfänglich ein Spannungsfeld zwischen dem eigenen Handelsgeschäft und der Marktplatzentwicklung gibt. Nun müssen wir durch gezielte Steuerungsmaßnahmen eine Balance erzielen. Dafür arbeiten wir auf der technischen Seite mit MVPs – Minimum Viable Products. Das heißt, wir testen unterschiedliche Lösungen direkt im Einsatz und justieren bei Bedarf nach. So konnten wir im vergangenen Jahr bereits wichtige Erkenntnisse sammeln, die wir 2024/2025 in die Umsetzung bringen wollen.
Der europäische und amerikanische E-Commerce erfahren massiven Druck durch Wettbewerber aus Fernost. Wie positioniert sich OTTO hier?
Diese Wettbewerber sprechen sehr erfolgreich insbesondere junge Kund*innensegmente an. Wir schauen sehr wohl mit professionellem Interesse darauf, wie diese Ansprache erfolgt: Gamification, Rabattcodes, der Einsatz von Influencern, ein Trommelfeuer permanenter Kommunikation – all das dient dazu, Kund*innen möglichst lange in den jeweiligen Apps zu halten.
Weit kritischer beobachten wir jedoch, dass sich zahlreiche Anbieter auf diesen Plattformen – im Gegensatz zu uns und vielen europäischen Marken und Händlern – nicht einmal an ganz grundlegende Regeln eines fairen Wettbewerbs in Europa halten. Sie überschwemmen Europa beispielsweise mit Textilien und Elektrogeräten, die nachweislich die Gesundheit gefährden können. Das ist unverantwortlich gegenüber den Verbraucher*innen.
Für uns ist es alternativlos, dass die negativen Ausprägungen dieser Fast-Consumption-Geschäftsmodelle gestoppt werden.
Was muss sich ändern?
Wir wünschen uns von der Politik und Kontrollbehörden wie dem Zoll, dass sie die Praktiken dieser Unternehmen stärker in den Blick nehmen und ggf. regulatorische Konsequenzen ziehen. Waren dürfen nicht ungeprüft und unter Ausnutzung subventionierter Logistikpreise auf den europäischen Markt gelangen. Für uns ist es alternativlos, dass die negativen Ausprägungen dieser Fast-Consumption-Geschäftsmodelle gestoppt werden. Denn derzeit konterkarieren sie sämtliche Bemühungen um einen gesunden und nachhaltigen Konsum, die wir bei OTTO gemeinsam mit vielen Herstellern, Händlern und der Politik vorantreiben.
Kann es nicht Teil der Lösung sein, den europäischen E-Commerce zu stärken?
Neben der Öffnung des Marktplatzes für europäische Läger deutscher Partner planen wir perspektivisch auch die Anbindung von Partnern aus der Europäischen Union (EU). Bislang arbeiten wir nur mit Unternehmen, die eine deutsche Umsatzsteuer-ID vorweisen. Diese Hürde wollen wir im kommenden Jahr abbauen, um unseren Kund*innen eine noch größere Auswahl an Produkten und Marken zu bieten. Und natürlich ist diese europäische Perspektive bewusst gewählt: Wir setzen auf Produkte, die höchsten Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanforderungen genügen. Deshalb wählen wir sehr bedacht aus, wer seine Waren auf unserem Marktplatz verkaufen darf. Billigst produzierte Wegwerfware wird auch zukünftig nicht Teil unseres Geschäftsmodells sein.
Nachhaltigkeit bleibt also ein zentrales Thema für OTTO?
Definitiv. Erst im Februar hat unsere Holding, die Otto Group, ihre Klimaziele durch die Science Based Target Initiative (SBTi) validieren lassen. Bis 2031 will der Konzern seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 2021 absolut um 42 Prozent senken. Als größte Gesellschaft der Unternehmensgruppe tragen wir bei OTTO hier eine besondere Verantwortung. Deshalb gehen wir sogar einen Schritt weiter als von der Initiative gefordert, und richten auch unser Marktplatzgeschäft an Science Based Targets aus. Damit sind wir in unserem Wettbewerbsumfeld einzigartig. Uns war es wichtig, ein starkes Signal für einen verantwortungsbewussten E-Commerce zu senden.
Auch in der Logistik haben wir weitere Meilensteile erreicht: Hermes liefert in Hamburg nun vollständig emissionsfrei durch E-Autos und Lastenräder aus. Weitere Städte sollen folgen. Und wir konnten zuletzt 100 Prozent unserer Versandtüten auf WILDPLASTIC umstellen. Gleichzeitig sind wir mit dem Start-up Traceless in der gemeinsamen Entwicklung einer vollständig biologisch abbaubaren Versandtüte weiter vorangekommen.
Welche Bedeutung hat KI bei OTTO? Wo geht die Reise hin?
Nicht erst seit ChatGPT und Co. findet sich künstliche Intelligenz bei uns in sämtlichen Wertströmen – von der Logistiksteuerung hin zur Kund*innenerfahrung. Zweifelsohne haben diese neuen Modelle aber auch uns nochmal ganz andere Möglichkeiten beschert, beispielsweise durch die automatisierte Erstellung von Artikelbeschreibungen mit Unterstützung von GenAI. Konzernintern erleichtert uns unser KI-Assistent ogGPT die Arbeit. Copilots unterstützen unsere Entwicklerteams beim effizienteren Programmieren. Im vergangenen Jahr haben wir zudem auf Kund*innenseite den ersten KI-Assistenten im deutschen E-Commerce erfolgreich getestet. Nun möchten wir generative KI insbesondere in assistierender Funktion für unsere Callcenter-Agent*innen erproben, um den Kundenservice noch weiter zu verbessern.
Im kommenden Jahr planen wir auch die Anbindung von Partnern aus der Europäischen Union.
Am 16. April öffnet das neue Headquarter auf dem Campus in Hamburg-Bramfeld. Was bedeutet dieser Schritt für OTTO?
Mit über 100 Millionen Euro ist das neue Headquarter eine Investition in unsere Zukunftsfähigkeit. Es bietet unserer anhaltenden technologischen und kulturellen Transformation einen Rahmen. Gleichzeitig ist es ein Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Hamburg.
Auf insgesamt 25.000 m² verteilen sich 1.600 Arbeitsplätze, 170 Meetingräume, drei Eventflächen und acht große Social Spaces. Im Desksharing bietet das umgestaltete Gebäude Platz für über 3.000 Mitarbeitende. Die Kolleg*innen können ihre Arbeitsweise selbstbestimmt an ihre jeweiligen Aufgaben anpassen. Die technische Ausstattung der Zentrale erlaubt einen komplett hybriden Arbeitsalltag. So bewahren wir uns die Flexibilität, die durch das „neue Normal“ Einzug in unsere Unternehmenskultur gehalten hat.
Ist die Investition nicht zu hoch, wenn man die enttäuschende Entwicklung des Handelsgeschäfts bedenkt?
Nein. Die Investition war von langer Hand geplant. Wir haben den Umbau nun innerhalb von fünf Jahren realisiert und werden die Transformation von OTTO aus dem neuen Headquarter weiter vorantreiben.
OTTO feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Warum gibt es das Unternehmen noch, wo so viele andere gescheitert sind?
OTTO hat sich immer verändert, sich an die Gegebenheiten der Zeit angepasst, Bestehendes hinterfragt und Neues gewagt. Insbesondere natürlich mit Blick auf die Medien und Technologien, die wir einsetzen, um Kundenerlebnisse zu schaffen. Vom Katalog zum frühen Eintritt ins Online-Zeitalter 1995 und zuletzt mit der Transformation zur Plattform. Künstliche Intelligenz wird hier abermals ein Katalysator für Innovation sein. Und dennoch ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Wirkens seit jeher unverändert – ein kundenorientiertes, verantwortliches Wirtschaften. Daran werden wir auch in Zukunft festhalten.
Mit über 100 Millionen Euro ist das neue Headquarter eine Investition in unsere Zukunftsfähigkeit.