Architekt der neuen OTTO-Zentrale: „Die Menschen und die Möbel bringen Farbe ins Gebäude“
Interview mit Hossein Yazdanian
Hossein, wie bist du dazu gekommen, den Umbau der neuen OTTO-Zentrale zu gestalten? Was waren die spezifischen Anforderungen an das Gebäude?
Ende 2016 wurde ich gefragt, ob ich Ideen hätte, wie man das leerstehende Logistikgebäude in eine nutzbare Fläche verwandeln könnte. Ich fand den Gedanken sehr reizvoll, aus dem Bestand zu agieren, statt das Gebäude abzureißen und neu aufzuziehen. In der neuen Zentrale sollten auf 25.000 m² Fläche rund 1.600 Arbeitsplätze entstehen. Schon damals waren agile New-Work-Arbeitsmethoden im Fokus der Umgestaltung. Aber Corona konnte natürlich niemand vorhersehen. Die ursprünglich avisierte Zahl der Arbeitsplätze mussten wir nicht maßgeblich anpassen, sehr wohl aber die Nutzung noch einmal präzisieren. Ich bin sehr froh über die Expert*innen aus unserer Flächenplanung und dem FutureWork-Team, mit deren konzeptioneller Unterstützung es gelungen ist, den Begriff „New Work“ mit Leben zu füllen.
Wie genau unterstützt das Gebäudekonzept New Work?
Im Desksharing-Prinzip bietet das neue Gebäude nun Platz für über 3.000 Mitarbeitende, die gemäß dem „Activity Based Working“-Prinzip ihren Arbeitsort so wählen können, wie er am besten zu den anstehenden Aufgaben passt. Feste Arbeitsplätze oder Einzelbüros gibt es nicht. Das gilt übrigens auch für unsere Vorständ*innen.
Die erste Etage ist eine reine Conference-Area. Es gibt Projektgaragen, wo Mitarbeitende sich einbuchen können, um in teilgeschlossenen Bereichen zusammenzuarbeiten. Das Gebäude verfügt über Telefonzellen mit Touchscreen und „Selfie Light“ sowie „Audiotheken“ mit akustisch abgeschirmten Arbeitsplätzen, die eigens für Telefonate und Videocalls zur Verfügung stehen. Raum für Stillarbeit bieten gesonderte Bibliotheksbereiche. Spezielle Video-Lounges mit 270°-Zoom-Kameras, Doppelbildschirmen und hochsensiblen Deckenmikrofonen erlauben hybride Meetings mit bester audiovisueller Übertragung. Das sind nur einige Beispiele.
Was war die Inspiration für das visuelle Design des neuen Headquarters?
Für mich war klar, dass der Charakter des Gebäudes nicht verändert werden sollte. Ich wollte die Vision von Werner Kallmorgen, der das Gebäude in den 1960er Jahren entworfen hat, erhalten. Aber auch die von Werner Otto, der den Bau damals in Auftrag gegeben hatte. All das sollte jedoch mit einer modernen Architektur verbunden werden. Das schaffen wir durch den Industriestil, der sehr zeitgemäß ist, gleichzeitig aber der Geschichte des Gebäudes Rechnung trägt. Statt diese Herkunft also zu verstecken, spielen wir bewusst damit.
Inwiefern?
Beispielsweise, indem wir Sichtinstallationen implementieren. An vielen Stellen im Gebäude sieht man die Leitungen oberhalb der Decke. Wo man sie im Normalfall verdecken würde, unterstreichen sie hier den industriellen Charakter. Ebenso die freigelegten, tragenden Betonsäulen. Um Licht reinzubringen, arbeiten wir viel mit Glas. Ein Beispiel sind unsere ehemaligen Lastenaufzüge, deren Schächte wir aufgebrochen und mit bodentiefen Fenstern und weißem Sichtbeton versehen haben. Sie können als Arbeitsplatz genutzt werden und bieten eine tolle Aussicht. Durch das Desksharing-Prinzip könnten die Mitarbeiter*innen theoretisch jeden Tag einen neuen Blick genießen [lacht].
Zudem haben wir die Bodenbeläge in Mustern und Farbgestaltung eher reduziert gehalten, was ebenfalls den Industriecharakter unterstreicht. Generell beschränkt sich das Farbkonzept vor allem auf Schwarz und Weiß.
Wird es dadurch nicht schnell kalt und steril?
Im Gegenteil. Wir verzichten ja nicht ganz auf Farbe. Wir setzen sie aber akzenthaft ein. Unser Kredo war: Die Menschen und die Möbel bringen Farbe ins Gebäude. Deswegen findet sich diese insbesondere im Mobiliar in den Erschließungsmöglichkeiten sowie unseren Social Spaces, wo die Kolleg*innen beispielsweise für einen Kaffee oder einfach einen Plausch zwischendurch zusammenkommen können. In diesen Bereichen schaffen wir unterschiedliche Themenwelten, wie beispielsweise Garten, Meer, Strand und Wiese, die auf abstrakte Weise mit den jeweiligen Motiven spielen.
Was ist das architektonische Herzstück des Gebäudes?
Bei Begehungen zeigt sich immer wieder, dass das lichtdurchflutete Atrium für einen echten Wow-Effekt sorgt. Wenn man hier aus dem achten Stock aus rund 38 Metern Höhe in den Lichthof schaut, sorgt das schon für Staunen. Das ist für das gesamte Team immer ein besonderer Moment. Das Atrium wurde über Monate in Präzisionsarbeit ins Gebäude gefräst. Dafür wurden pro Stockwerk rund 1.000 m² Ausschnitt entnommen und vier Brücken im Ganzen eingesetzt. Das war eine echte Mammut-Aufgabe! Wir haben über 5.000 m² Pro Etage überarbeitet und unzählige Stutzen herausgenommen. Diese enormen Lasten mussten erst einmal woanders aufgenommen werden. Es ist gigantisch, was hier allein statisch in den vergangenen Jahren gemacht wurde.
Worauf freust du dich nun zur Eröffnung am meisten?
Auf die Reaktionen. Und darauf, zu sehen, wie sich das Gebäude mit Leben füllt und zu einem Ort wird, an dem man sich wohl fühlt und gern zur Arbeit geht. Ich denke, das ist uns gelungen.
Vielen Dank, Hossein.